Sie benötigen kein Zeiterfassungssystem, weil Sie auf Vertrauensarbeitszeit setzen?
Das sollten Sie nochmal überdenken!
Aktuelle Rechtslage und Entwicklungen
Seit dem BAG-Urteil vom September 2022 besteht in Deutschland die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Dies gilt auch für Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit. Wir haben nachstehend wichtige Punkte aufgelistet, die sie beachten sollten:
- Der Arbeitgeber ist verantwortlich für die Einhaltung der vorgeschriebenne Pausenzeiten. Er muss sicherstellen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht zu viel arbeiten und die Pausen einhalten – um ebendiese zu schützen. Dies gilt grundsätzlich auch in Bezug auf Arbeitnehmer/innen mit Vertrauensarbeitszeit auch im Homeoffice.
- Vertrauensarbeitszeit bedeutet keine Veränderung der individuell geschuldeten Arbeitszeit. Diese wird im Arbeitsvertrag festgehalten, oder es gilt die betriebsübliche Arbeitszeit. Dem Mitarbeiter ist im Rahmen von Vertrauenarbeitszeit auch bisher im Grunde nur freigestellt, wann er diese erbringt.
- Mit dem BAG-Urteil muss nun verpflichtend die gesamte Arbeitszeit inklusive Pausenzeiten erfasst werden (LAG München, Aktenzeichen 4 TaBV 9/22). Dies steht somit nicht wirklich im Konflikt mit einer rechtskonformen Umsetzung der Vertrauensarbeitszeit.
- Ein Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes wurde im April 2023 vorgelegt, aber bisher noch nicht verabschiedet. Er sieht vor, dass Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich sein soll, allerdings mit klaren Regelungen zur Zeiterfassung.
- Dass die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit der Führung eines Arbeitszeitkontos nicht entgegensteht und auch die Abgeltung eines Zeitguthabens aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers nicht ausschließt, zeigt bereits das Urteil des BAG von 2013 (5 AZR 767/13).
- Die vollständige Umsetzung der elektronischen Zeiterfassungspflicht wird sich voraussichtlich bis über 2025 hinaus erstrecken. Es sind Übergangsfristen geplant, um Unternehmen die Umstellung zu erleichtern.
Update: Ende der Ampel-Koalition
Das Ende der Ampel-Koalition hat Auswirkungen auf die geplante Einführung einer gesetzlichen Regelung der flächendeckenden Zeiterfassungspflicht in Deutschland. Die Koalition hatte sich vorgenommen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Zeiterfassung umzusetzen und damit mehr Transparenz bei den Arbeitszeiten zu schaffen. Durch den Koalitionsbruch sind diese Pläne jedoch in der Schwebe geraten. Es ist unklar, ob und wann eine neue Regierung dieses Thema wieder aufgreifen wird und mit welcher Geschwindigkeit die Umsetzung erfolgen wird. Die verschiedenen Parteien haben unterschiedliche Vorstellungen zur Ausgestaltung der Zeiterfassungspflicht, was weitere Verzögerungen nach sich ziehen könnte. Die Pflicht zur Zeiterfassung besteht auch ohne eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Diese ergibt sich neben dem Urteil des EuGH auch aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2022.
Was ist Vertrauensarbeitszeit?
Vertrauensarbeitszeit ist ein Arbeitszeitmodell, bei dem die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst einteilen und dokumentieren können. Dabei gibt es keine festen Vorgaben für die Anwesenheit oder die Pausen. Die Mitarbeiter müssen lediglich ihre vereinbarte Wochen- oder Monatsarbeitszeit erfüllen und ihre Arbeitszeiten nachweisen. Vertrauensarbeitszeit eignet sich für Unternehmen und Mitarbeiter, die flexibel auf die Anforderungen des Marktes und der Kunden reagieren müssen. Außerdem fördert Vertrauensarbeitszeit die Eigenverantwortung, die Motivation und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Allerdings erfordert Vertrauensarbeitszeit auch ein hohes Maß an Vertrauen, Kommunikation und Selbstorganisation von beiden Seiten.
Welche Zeiterfassungssysteme eignen sich für Unternehmen mit Vertrauensarbeit?
Für Unternehmen mit Vertrauensarbeit eignen sich Zeiterfassungssysteme, die Flexibilität und Selbstverantwortung der Mitarbeiter unterstützen, gleichzeitig aber die gesetzlichen Anforderungen an die Zeiterfassung erfüllen.
Empfehlenswerte Systeme:
- Mobile Zeiterfassung: Apps ermöglichen die Zeiterfassung von überall und jederzeit.
- Webbasierte Systeme: Einfache Bedienung und Zugriff von jedem Gerät mit Internetverbindung.
- Projektbasierte Zeiterfassung: Erfassung der Arbeitszeit für verschiedene Projekte und Aufgaben.
- Automatische Zeiterfassung: Systeme, die die Arbeitszeit automatisch durch Tracking der Aktivitäten des Mitarbeiters erfassen.
Zusätzliche Funktionen:
- Genehmigung von Arbeitszeiten und Urlaubsanträgen.
- Erstellung von Reports und Statistiken.
- Integration mit anderen HR-Systemen.
Was Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit jetzt tun sollten:
Vertrauensarbeitszeit kann grundsätzlich trotz EuGH-Urteil bis zur finalen Gesetzgebung bestehen bleiben. Das bedeutet, dass Mitarbeitende ihre Arbeitszeiten weiterhin selbst gestalten können. Allerdings sollten diese Unternehmen mit einer flexiblen digitalen Zeiterfassung sofort beginnen. Das ist keine völlig neue Anforderung, denn Überstunden mussten schon immer dokumentiert werden.
Die Zeiterfassung hat viele Vorteile für die Mitarbeitenden, wie zum Beispiel mehr Transparenz und Fairness. Arbeitgeber sollten daher ihre Angestellten in die Einführung einer Zeiterfassungssoftware einbinden und ihnen die positiven Aspekte erklären. So können sie mögliche Ängste und Vorbehalte abbauen.
Unsere Handlungsempehlungen für Unternehmen:
- Implementieren Sie ein flexibles digitales Zeiterfassungssystem, das die gesetzlichen Anforderungen erfüllt und die Prinzipien der Vertrauensarbeitszeit unterstützt.
- Informieren Sie Ihre Mitarbeiter über die Notwendigkeit und die Vorteile der Zeiterfassung, wie Transparenz und Fairness.
- Beziehen Sie Ihre Angestellten in den Prozess der Einführung eines Zeiterfassungssystems ein, um Akzeptanz zu schaffen und Bedenken auszuräumen.
- Bleiben Sie über weitere gesetzliche Entwicklungen auf dem Laufenden und passen Sie Ihre Systeme bei Bedarf an.
- Nutzen Sie die Übergangsfristen, um eine reibungslose Umstellung zu gewährleisten.
Vertrauensarbeitszeit und gesetzeskonforme Zeiterfassung müssen kein Widerspruch sein. Mit den richtigen Systemen und einer offenen Kommunikation können Sie beides in Einklang bringen und die Vorteile beider Ansätze nutzen.